Patina – ein Modetrend?

Meine Meinung zum Thema Patina vs. Renovierung

Einleitung

Bis zum Jahr 2008 hatte ich eine ganz klare Vorstellung, wie ein klassisches Fahrzeug aufzuarbeiten ist:

  1. Neue Lackierung nach originalem Vorbild
  2. Austausch oder Neuverchromung verschlissener Chromteile
  3. Neuer Kabelbaum
  4. Technische Instandsetzung

Mit dem Kauf meines 56er ES-Gespanns im Jahre 2008 hat sich meine Sichtweise dann Schritt für Schritt verändert.

Heute interessiere ich mich überwiegend für Fahrzeuge, die ihr Leben authentisch wiedergeben. Dabei ist der optische Zustand beinahe zweitrangig. Eine wunderschön erhaltene Maschine mit wenig Gebrauchsspuren ist sicher ein Traum.
Aber auch bei weniger gut oder sogar schlecht erhaltenen Fahrzeugen bin ich inzwischen von den o.g.  Punkten 1 bis 3 abgekommen.

Für diese Einstellung gibt es den Begriff „Patina Restaurierung“, der ein Bisschen zum Modewort geworden ist.
Ich denke, es ist an der Zeit, zu diesem Thema ganz klar Position zu beziehen.

Begriffsdefinition

Bevor ich noch etwas ins Detail gehe, möchte ich gern ein paar Begriffe klären.

1. Authentizität

Unter Authentizität verstehe ich, dass ein Fahrzeug in wesentlichen Punkten noch in dem Zustand ist, den es in seiner Gebrauchszeit hatte.

Der überwiegende Teil der heute historischen Fahrzeuge waren früher ganz normale Alltagsfahrzeuge. In der Regel wurden sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ausser Betrieb genommen und weg gestellt.

2. Renovierung

Die in den Punkten 1 bis 4 beschriebene Verfahrensweise bei der Aufarbeitung eines historischen Fahrzeuges wird als Renovierung bezeichnet.

Ziel der Renovierung ist die Imitation des fabrikneuen Zustands

Ergebnis ist immer nur eine Imitation. Diese wird jemand, der sich intensiver mit der Materie beschäftigt, in der Regel sofort und eindeutig als solche erkennen.

 3. Restaurierung

Bei einer Restaurierung wie im Denkmalschutz oder Kunstbereich geht es nicht um die Imitation des Neuzustands. Jedes Objekt wird indivduell betrachtet. Es geht darum, die Authentizität des Objektes zu bewahren.

Wenn der Restaurator gut gearbeitet hat, ist auf den ersten Blick nicht sofort zu sehen, dass restauriert wurde. Zwar wird es eine gravierende optische Verbesserung zum Ausgangszustand geben, jedoch könnte das Objekt auch schon seit 50 Jahren so ausgesehen haben.

Für mich gehen Restaurierung und Authentizität in die gleiche Richtung, die Renovierung steht dem entgegen.

Zeit nehmen und eine Vision entwickeln

Es ist wichtig, sich vor Beginn einer Aufarbeitung Zeit zu nehmen und zu überlegen, was am Ende dabei herauskommen soll. Die folgenden Punkte können dabei als Entscheidungshilfe dienen:

Wie soll das Fahrzeug später wieder genutzt werden?
Wenn es sich auf vielleicht 2.000 Kilometer im Jahr und überwiegend Schönwetter beschränken wird, kann man ohne Bedenken auf eine Neulackierung verzichten.
Wenn man ein Alltagsfahrzeug haben möchte, welches 10.000 km im Jahr abspulen soll und auch oft bei Dreckwetter oder gar im Winter fahren soll ist sicher über eine Renovierung nachzudenken.
Der überweigende Teil der hisorischen Fahrzeuge dürfte in Kategorie 1 fallen.

Wie ist der Zustand des Fahrzeuges?
Je besser das Fahrzeug rein opitsch erhalten ist, um so mehr Leute werden den Verzicht auf eine Renovierung nachvollziehen. Rein verschleissmäßig ist mir der Zustand beinahe egal. Meine Grenzen liegen in papageibunten Lackierungen oder selbst gefertigten Sport-Umbauten und dergleichen. Aber es gibt auch Leute, die sich damit anfreunden können und diese Zeitzeugen erhalten. Das ist auch gut so.

Bewahrung oder Leugnung der Geschichte des Fahrzeuges
Möchte ich mich in das Leben des Fahrzeuges einfügen und dieses fortführen oder möchte ich mit der Geschichte brechen?
Man sollte sich darüber bewusst sein, dass eine Renovierung immer ein radikaler Bruch mit der Fahrzeuggeschichte sein wird.

Veränderung des Blickwinkels

Mit der Zeit verändert sich der Blickwinkel:

  • Ich sehe heute nicht mehr zuerst, was kaputt ist sondern was noch ganz ist.
  • 30% fehlender lack bedeuten 70% erhaltenen Lack.
  • Ein weitestgehend originaler Kabelbaum ist trotz einiger Flickstellen sofort und eindeutig von einem nachgemachten zu unterscheiden. Eine Ausbesserung reicht technisch völlig aus.

Wenn man sich auf Patina einläßt wird sich diese Sichtweise nach und nach durchsetzen.
Belohnt wird man mit einem Blick für Details, die bei einer Renovierung in der Regel unter den Tisch fallen.

Kompromiss zwischen historischem Wert und Betriebssicherheit

Von historischem Wert ist in erster Linie der authentische Zustand eines Fahrzeuges. Wenn ein Klassiker auch gefahren werden soll, muss ein Kompromiss zwischen Historie und Betriebssicherheit gefunden werden.
Dieser Kompromiss bedingt nach meiner Meinung folgende Dinge:

  1. Bremsen müssen vernünftig und zuverlässig funktionieren
  2. Elektrische Anlage muss funktionieren
  3. Motor muss nach bestem Gewissen funktionieren.
  4. Reifen müssen einwandfrei sein

Dieser Kompromiss bedingt nach meiner Meinung KEINESFALLS:

  1. Neulackierung oder Lack-Ausbesserung
  2. „Verbesserung“ der Elektrik durch moderne Baugruppen
  3. Proforma Erneuerung des Kabelbaums
  4. Proforma-Austausch von Kurbelwelle, Zylinder oder Lagern

Überlegen Sie gut, bevor Sie mit einer Renovierung beginnen

Bevor man mit Renovierungsarbeiten beginnt sollte man sich folgendes vergegenwärtigen:

  1. Viele Detailfragen können nach einer Renovierung nicht mehr geklärt werden, da die entsprechenden Details schlicht „wegrestauriert“ wurden. Die Erinnerung an den Zustand vor der Renovierung verblasst mit der Zeit.
  2. Alles was endgültig entfernt wird, kann NIE mehr zurück gewonnen werden. Eine erneute Renovierung ist dafür immer wieder möglich.
  3. Oftmals sind Besonderheiten im Vorfeld noch nicht bekannt. Eine Renovering bringt die Gefahr, dass seltene orginale Details aus Unwissenheit zerstört werden.

Selbstverwirklichung  sollte nicht im Vordergrund stehen

Ich beobachte oftmals, dass bei Fahrzeug Restaurierungen Fähigkeiten und das technisch machbare demonstriert werden sollen.
Es entstehen dann Ergbenisse, die objektiv besser sind, als das Original je war. Aus historischem Blickwinkel halte ich dies für komplett falsch.

Es sollte immer das Fahrzeug und seine Historie und niemals die Selbstverwirklichung des Restaurators im Vordergrund stehen.

Kein Modetrend sondern die Zukunft

Das Thema Patina steht bei klassischen Fahrzeugen noch am Anfang. Bei kunsthistorischen Objekten oder Baudenkmälern bedarf es dazu keiner Diskussion. Was wäre die „Mona Lisa“ noch wert, wenn man das Bild komplett Sandstrahlen und mit 7 Schichten Lack und Klarlack überjauchen würde? Vermutlich nichts mehr.

Ich bin der Meinung, das sich die Wertsteigerung in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten auf orginal erhaltene Fahrzeuge (vor allem lackmäßig) konzentrieren wird.

Charta von Turin

Der Oldtimer Weltverband FIVA hat im Jahre 2011 die Charta von Turin veröffentlicht. Die Charta wurde geschaffen, um Oldtimer Besitzern bei der Entscheidungsfindung zur Restaurierung und Konservierung eines Fahrzeuges zu helfen.

Die Charta hat in der Entwurfphase klar die Renovierung (Imitation einer fabrikneuen Erscheinung) verworfen.

In der Endfassung der Charta vom 29.1.2013 wurde diese Distanzierung leider komplett gestrichen. Die Gründe dafür sind mir nicht bekannt.

Nach meiner Meinung kann nun jeder das herauslesen, was er für richtig hält.

Ein deutsche Fassung der Charta gibt es hier: http://www.fsva.ch/de/kultur/charta-von-turin